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POP UND JAZZ
Leonard Cohen in Zürich
«Und der Rebbe tanzt!»
Pop und Jazz Heute, 14:40
Leonard Cohen im Zürcher Hallenstadion. (Bild: NZZ / Christoph Ruckstuhl)
Dass die Pop-Kultur auch Platz für grosse alte Männer hat, das hat schon die Verehrung für Johnny Cash gezeigt. Zehn Jahre nach dessen Tod ist es Leonard Cohen, der eine vergleichbare Rolle spielt. Mit dem Unterschied, dass er als Songpoet immer noch produktiv ist, wie sein neustes Album «Old Ideas» beweist.
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Martin Schäfer
Mit seiner gegenwärtigen «Old Ideas World Tour» war Leonard Cohen diesen Sommer schon zwei Abende in Montreux zu Gast; am Samstag hat er nun auch noch das (nicht ganz ausverkaufte) Zürcher Hallenstadion besucht, zum ersten Mal seit fünf Jahren. Dass das Konzert zur Feierstunde geriet, kann nicht verwundern: Als singender Mystiker und Sinnstifter bedient der Kanadier romantische Sehnsüchte und Heilserwartungen gleichermassen. Und als perfekter Gentleman des gehobenen Showbusiness enttäuscht er keinen Moment: Was manche als allzu gepflegte musikalische Oberfläche kritisieren, entspringt einer echten Bescheidenheit – und dem Respekt vor dem zahlenden Publikum. Da bleibt kein Auge trocken, bleiben keine Wünsche offen, ausser vielleicht nach noch mehr von den neusten Songs: «The Darkness», «Amen», «Come Healing», «Going Home» kommen zu Ehren, aber der allerschönste, «Show Me The Place», hat seinen festen Platz im Repertoire offenbar noch nicht gefunden. Was soll's? Cohen beschenkt uns auch so grosszügig genug, mit einem fast dreistündigen Querschnitt durch sein Gesamtwerk, eingeleitet sinnigerweise von «Dance Me to the End of Love»: Denn dieser tiefernste Poet der heillosen Liebe, dieses unwahrscheinlichste aller Pop-Idole hat durchaus auch seine lockere, ver- spielte, tänzerische Seite.
Auf den Knien
Ab und zu, kürzlich wieder in Oslo beim Soundcheck, singt er sogar das jiddische Lied «Un' as der Rebbe tanzt», das hat er uns zwar in Zürich vorenthalten, aber beweglich genug hat er sich gezeigt: abwechslungsweise auf den Knien wie zum Gebet und sich wiegend wie ein fröhlicher Chassid. Liegt nicht genau hier der Schlüssel zu seinem Verständnis – und das Geheimnis seiner Faszination? Denn eigentlich ist ja seine Botschaft ziemlich trostlos: Als Zweites kommt gleich «The Future» mit dem erschütternden Refrain «Give me back the Berlin Wall»: Macht euch keine Hoffnungen, die Zukunft wird mörderisch. Wer denkt da nicht, zurzeit, an Syrien und Ägypten? Keinen Moment vergisst Cohen in seinen Songs, dass die Welt verloren ist – und doch singt er «Hallelujah», er feiert zugleich das Leben, und für diese paradoxe Weisheit pilgert seine Gemeinde, 5000 und mehr, ins Hallenstadion. Umso lieber natürlich, als noch seine bittersten Zeilen so lieblich verpackt sind: Er hat zwar einst als reiner Wortdichter begonnen, aber als Musiker ist er weit über die blosse Liedermacherei hinausgewachsen, und auch wenn sein spätes Live-Comeback (seit 2008) angeblich von finanziellen Problemen mitverursacht wurde, betreibt er es doch mit beispielhafter Sorgfalt und Hingabe. Angefangen bei der Auswahl seiner Begleiter: Das neuste und jüngste Bandmitglied, den moldauischen Geigenvirtuosen Alexandru Bublitchi, würdigt er zu Recht schon sehr früh im Konzert, ebenso den spanischen Meistergitarristen Javier Mas. Es sind vor allem diese beiden, die immer wieder für instrumentale Höhepunkte sorgen, vergleichbar mit jenen grossartigen armenischen Musikern, die Cohen vor gut 30 Jahren schon bei der Rückgewinnung seines orientalisch-jüdischen Klezmer-Erbes unterstützten.
Nicht weniger wichtig sind natürlich, einmal mehr, die drei Sängerinnen, die wunderbaren englischen Webb Sisters, die im Zugabenblock verdientermassen mit «If It Be Your Will» einen Solo-Spot erhalten, und die langjährige Mitkomponistin Sharon Robinson, deren «Alexandra Leaving» ebenfalls zu Ehren kommt. Unterstützt nur von diesen Frauen hat auch Cohen nach der Pause quasi einen Solo-Moment, wirft mit ironischer Geste sein kleines elektronisches Keyboard an und intoniert «Tower of Song»: «I was born with the gift of a golden voice», die Zeile wird vom Publikum bejubelt, das rudimentär hingeklimperte Solo ebenso, was er verdankt mit der Bemerkung: «Wollt ihr mir schmeicheln?» Neben allem andern ist Cohen bekanntlich auch ein geheimer Humorist, nicht alles ist so ernst gemeint, wie es scheint – «wenn der Rebbe lacht, lachen auch die Chassidim».
Depressionen eines Clowns
Aber dann folgt «Avalanche», mit Javier Mas brillant im Hintergrund, und wir sind wieder bei seinem andern geheimen Thema, den Depressionen, die ihn (wie manchen grossen Clown) sein Leben lang verfolgt haben. Und am Schluss, mit «Take This Waltz», landen wir nochmals beschwingt beim Tanz – an manchen Abenden auf dieser Tour gibt es sogar, als allerletzte Zugabe, die alte Drifters-Nummer «Save The Last Dance For Me». Diesmal nicht, mit «Closing Time» ist Schluss, aber zu kurz gekommen ist niemand: Ein befriedigenderes Konzert im Hallenstadion ist kaum denkbar. Ob es sein letzter Tanz gewesen ist? Das wollen wir nicht hoffen, aber wenn einer in diesem Bewusstsein lebt und sein Bestes gibt, dann sicher Cohen selber.